Dr. Tobias Lindner kandidiert für B90/Grüne im Wahlkreis 211 (Südpfalz). Nachfolgend sind die Antworten auf die Wahlprüfsteine zum Lebensschutz für die Bundestagswahl 2017 wiedergegeben. Hierbei gab es die Möglichkeit, entweder eine Antwort aus den vorgegebenen Optionen zu wählen oder eine eigene Stellungnahme zu formulieren.
Beginn des menschlichen Lebens und Anerkennung der Menschenwürde
Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit seiner Würde und seiner Freiheit. Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde ist unser Ausgangspunkt. Der Zeitpunkt, ab wann ein Embryo den Schutz von Art. 1 GG genießt, ist rechtlich umstritten und vom BVerfG nicht abschließend geklärt; die juristisch herrschende Meinung geht allerdings davon aus, dass der Schutz bereits vor der Geburt greift, allerdings – je nach Entwicklungsstufe – in schwächerer Form.
Gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs
Die momentane Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist ein praktikabler Kompromiss der unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen. Eine Änderung dieser Regelung steht momentan nicht auf der politischen Agenda. Die bestehende Fristenlösung stellt sicher, dass Frauen frei und ohne Kriminalisierung darüber entscheiden können, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Die Regelung genießt einen breiten gesellschaftlichen Konsens und stellt sicher, dass sich Frauen informiert, aber frei entscheiden können. In der letzten Wahlperiode gab es keine gesetzgeberische Initiativen, diesen Konsens wieder aufzukündigen. Restriktive Regelungen haben zu keiner Zeit geholfen werdendes Leben vor einem Abbruch der Schwangerschaft zu schützen. Stattdessen brachten sie viele Frauen in entwürdigende und lebensgefährliche Situationen. Nicht Abschreckung, sondern freiwillige, qualifizierte und ergebnisoffene Beratung ist geeignet, die Frauen bei ihrer Entscheidung zu unterstützen und ihnen in schwierigen Situationen zur Seite zu stehen.
Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs
Abtreibungen nach der Beratungsregelung sollten nur in finanziellen Notlagen von der Allgemeinheit übernommen werden. Für eine Feststellung der Bedürftigkeit ist eine Erklärung der Leistungsempfängerin gegenüber der Krankenkasse ausreichend. Finanzielle Restriktionen sind kein geeignetes Mittel, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu senken. Noch weniger sollten sie dazu dienen, Frauen für ihre Entscheidung zu sanktionieren. Die Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs aus Steuermitteln bei Bedürftigkeit ist daher eine sinnvolle Lösung, Frauen in ihrer selbstbestimmten Entscheidung zu unterstützen. Noch wichtiger ist es allerdings, dass Menschen mit geringem Einkommen Verhütungsmittel unentgeltlich bereitgestellt werden. Eine solche Übernahme ist derzeit nicht flächendeckend gewährleistet und zudem den Betroffenen noch zu wenig bekannt. Wir Grünen setzten uns dafür ein, dass dies anders wird.
„Pille danach“
Selbstbestimmung und der gesicherte Zugang zur Familienplanung sind wesentliche Bereiche der sexuellen und reproduktiven Rechte. Dazu gehört auch der niedrigschwellige Zugang zum Notfallverhütungsmittel „Pille danach“. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht (§53 Absatz 2 Arzneimittelgesetz) hat im Januar 2014 wiederholt festgestellt, dass es unter Arzneimittelsicherheitsaspekten keinen Grund gibt, die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel in der Verschreibungspflicht zu belassen. Dies deckt sich mit den Studien der Weltgesundheitsorganisation, Empfehlungen des Europarates sowie den positiven Erfahrungen aus dem Ausland. In nahezu allen europäischen Ländern ist die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel rezeptfrei erhältlich. Dies zeigt, dass es keine sachlichen Gründe gibt, die Abgabe der „Pille danach“ weiter verschreibungspflichtig zu lassen. Die Anfang 2015 getroffene Entscheidung der EU-Kommission, die „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat europaweit aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, zwingt Deutschland nun, dies in nationales Recht umzusetzen. Bündnis 90/Die Grünen haben dies schon mehrfach (zuletzt s. BT-Ds. 18/3834) gefordert. Nach jahrelanger Diskussion und politischen Bedenken vor allem auf Seiten der Union wurde Levonorgestrel zum 14. März 2015 endlich rezeptfrei. Der genaue Wirkungsmechanismus der Wirkstoffe ist nicht vollständig geklärt. Als Hauptwirkung der Pille danach wird in der medizinischen Fachliteratur die Verhinderung oder Verzögerung des Eisprungs (Ovulation) angegeben, Neben der Wirkung auf den Eisprung wurde experimentell eine Verminderung der Beweglichkeit und Funktionsfähigkeit von Spermien durch die Wirkstoffe festgestellt. Ob Levonorgestrel die Einnistung (Nidation) befruchteter Eizellen in die Gebärmutterschleimhaut hemmt, ist wissenschaftlich umstritten. Wissenschaftlich gesichert ist hingegen, dass Levonorgestrel wirkungslos ist, wenn sich die befruchtete Eizelle bereits in der Gebärmutterschleimhaut eingenistet hat.
Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen
Die Forschung an embryonalen Stammzellen hat bislang kaum Erfolge gezeigt und befindet sich weiter im Stadium der Grundlagenforschung. Bislang gab es in der Fraktion einen Konsens, dass wir verbrauchende Embryonenforschung ablehnen. Zur 2008 beschlossenen Verschiebung der Stichtagsregelung gab es keine fraktionseinheitliche Position. Unabhängig davon befürworten wir, das Potential induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS) als mögliche Alternative zur Verwendung embryonaler Stammzellen stärker in den Fokus zu nehmen.
Reproduktives Klonen von Menschen
Reproduktives Klonen muss verboten bleiben.
Anwendung der Präimplantationsdiagnostik
Mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird vor seiner Einsetzung in die Gebärmutter ein aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangener Embryo auf mögliche Erbkrankheiten oder genetische Auffälligkeiten untersucht. Embryonen, die diese Auffälligkeiten zeigen, werden dann verworfen. 2011 hat der Bundestag eine begrenzte Zulassung der PID beschlossen. Paare können eine PID durchführen lassen, wenn ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist und eine unabhängige Ethikkommission diesem Verfahren zustimmt. Die Zulassung der PID war hoch umstritten. Die Diskussion verlief jenseits der Fraktionsgrenzen. Auch in der grünen Bundestagsfraktion waren die Positionen unterschiedlich. Einig waren sich die Abgeordneten darin, dass eine Selektion von Kindern nach Geschlecht oder anderen, nicht zu einer Erkrankung/Behinderung führenden Kriterien verboten bleiben soll. Kern der Debatte war die Frage, ob es zulässig sein soll, gezielt Embryonen mit bestimmten Erbkrankheiten auszusortieren, auch wenn die Erkrankungen nicht unmittelbar tödlich enden (bspw. Mukoviszidose, sog. Bluter-Krankheit, Marfan-Syndrom).
Pränatale Bluttests bei Schwangeren
Der pränatalen Bluttests als nicht-invasive Verfahren stellt für Risikoschwangere eine Alternative zum sog. Ersttrimester-Screening und den darauf ggf. folgenden invasiven Verfahren dar, welche im ungünstigsten Fall zur Schädigung des Fötus oder zu einer Fehlgeburt führen können. Auch wenn die Hersteller angeben, dass das Testergebnis immer durch ein solches invasives Verfahren abgesichert werden müsse, ist unbekannt, ob dies in der Praxis auch stattfindet. Der Test kann schon in einem sehr frühen Stadium der Schwangerschaft durchgeführt werden, so dass den betroffenen Frauen theoretisch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs im Rahmen der Fristenlösung offen steht. Hier muss gewährleistet sein, dass die Frauen/Paare vor einer solchen Entscheidung ausreichend über die mögliche Erkrankung/Behinderung ihres Kindes, deren Behandelbarkeit sowie die Möglichkeit einer Fehldiagnose (falsch-positives Testergebnis) informiert werden. Momentan wird davon ausgegangen, dass 90% der Paare, bei deren ungeborenem Kind die Diagnose Down-Syndrom gestellt wird, die Schwangerschaft abbrechen, auch wenn das Kind durchaus lebensfähig ist. Die Finanzierung des Tests durch die gesetzlichen Krankenkassen ist aufgrund seiner selektionierenden Ausrichtung daher auch innerhalb der grünen Bundestagsfraktion stark umstritten.
Gesetzliche Regelung der Patientenverfügung
Die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung von 2009 haben die rechtliche Verbindlichkeit solcher Verfügungen zum ersten Mal gesetzlich festgeschrieben, nachdem in dieser Frage jahrelang Rechtsunsicherheit herrschte. Allerdings zeigen sich bei der Umsetzung der Vorschriften in der Praxis bisweilen erhebliche Probleme. Zum einen sind nach der Regelung auch mündliche oder mutmaßliche Willensäußerung des Betroffenen verbindlich, die aber oft nicht sicher zu ermitteln oder zwischen den Angehörigen umstritten sind. Zum anderen ist vor Erstellung der Patientenverfügung keine Beratung vorgeschrieben, so dass die Verfügungen häufig ohne medizinisches Hintergrundwissen erstellt werden. In der konkreten Anwendung haben die jeweiligen ÄrztInnen dann häufig Probleme, die Verfügungen auf die konkrete Behandlungssituation anzuwenden. Auch beim Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendeerklärung gibt es Unsicherheiten und ungeklärte Widersprüche. Ob die Regelung von 2009 vom Gesetzgeber noch mal nachgebessert werden wird, lässt sich momentan nicht absehen. Diese Regelung war damals auch innerhalb der grünen Bundestagsfraktion umstritten. Einig waren sich alle Abgeordneten allerdings darin, dass der Wille der/des Betroffenen beachtet wird und Leitlinie aller Therapieentscheidungen sein muss.
Beihilfe zum Suizid
Der Deutsche Bundestag hat am 6. November 2015 mehrheitlich den Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (BT-Drucksache 18/5373) angenommen, der die geschäftsmäßige Hilfe beim Suizid unter Strafe stellt. Danach macht sich strafbar, wer „in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“. Damit ist die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen oder einzelnen Sterbehelfern, die Suizidassistenz als Dienstleistung regelmäßig anbieten, in Deutschland zukünftig nicht mehr zulässig. Es gab im Deutschen Bundestag quer durch alle Fraktionen unterschiedliche Positionen zu diesem Thema, wie dies bei bioethischen Fragestellungen häufig der Fall ist. Während ein Teil der Abgeordneten ein Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid befürwortete, z.B. weil sie befürchteten, dass Sterbewillige sonst vorschnell zu einem Suizid gedrängt werden könnten, wollten andere die organisierte Hilfe beim Suizid an bestimmte Bedingungen knüpfen oder sprachen sich ganz gegen eine Regulierung aus.
Aktive Sterbehilfe
Dieses Thema war bislang noch nicht Gegenstand von parlamentarischen Initiativen. In der grünen Bundestagsfraktion gab es vereinzelte Stimmen, die hier eine Lockerung befürworteten; ebenso wie in den anderen Fraktionen ist dies bislang allerdings eine absolute Minderheit. Die Befürwortung der aktiven Sterbehilfe muss unserer Meinung nach im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über Missstände in unserem Gesundheits- und Pflegesystem gesehen werden, die bei manchen die Angst vor einem fremdbestimmten und von ihnen selbst als unwürdig empfundenen Sterben fördert. Unabhängig von Verbotsfragen ist für uns wichtig, dass noch mehr unternommen wird, Menschen über Behandlungsmöglichkeit am Ende des Lebens aufzuklären und so die Angst vor unerträglichen Schmerzen und vor einem qualvollen Tod zu nehmen. Dazu gehört, die Palliativmedizin und die Hospizbewegung weiter zu stärken und deren Angebote noch bekannter zu machen.
Organentnahme von toten Spendern
Die existierende Entscheidungslösung ist der richtige Weg, um die Organspendebereitschaft zu erhöhen und sollte beibehalten werden. Nach der von allen Fraktionen – auch der grünen – beschlossenen Entscheidungslösung, werden alle Krankenversicherten nun in regelmäßigen Abständen aufgefordert, sich zur Organspende zu erklären und einen Spenderausweis auszufüllen. Verpflichtend ist eine solche Erklärung allerdings nicht. Die grüne Bundestagsfraktion hat bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes maßgeblich dazu beigetragen, dass eine solche Erklärung weiterhin freiwillig bleibt und dass die Aufklärung über die Organspende ergebnisoffen gestaltet sein muss. Leider wird in der Praxis nicht immer so beraten. Viele Organspendekampagnen sind immer noch tendenziell pro Spende ausgelegt. Ihre Wirksamkeit ist allerdings begrenzt: nicht nur die Zahl der Spender, sondern auch die Zahl der Menschen, die einen Organspendeausweis besitzen, ging in den letzten Jahren zurück. Dazu beigetragen haben auch die Skandale über Manipulationen in Transplantationszentren, die regelmäßig aufgedeckt werden und die auch nach der letzten Reform des Transplantationsgesetzes nicht aufgehört haben. Wir Grüne befürworten eine größere Transparenz des Organspendeprozesses, auch durch Veränderungen der Strukturen.(BT-Ds. 17/11308).
Leihmutterschaft
Die Leihmutterschaft bzw. ihre Zulassung in Deutschland ist in der vergangen Wahlperiode im Deutschen Bundestag kein Thema gewesenen. Aus derzeitiger grüner Sicht gibt es keinen Grund, weshalb das bestehende Verbot in der nächsten Wahlperiode in Frage gestellt werden sollte. Leihmütter sind im Rahmen dieser Schwangerschaften und den ihnen vorausgehenden künstlichen Befruchtungen erheblichen medizinischen Risiken ausgesetzt. In Entwicklungsländern finden solche Schwangerschaften oft unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Not der betroffenen Frauen statt, die damit den Lebensunterhalt ihrer eigenen Familien sicherstellen wollen.