In Deutschland herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen den Menschen, welche dringend auf ein Spenderorgan warten (2010: ca. 12.000) und der Anzahl der gespendeten Organe (2010: ca. 1.300). Daher möchte nun die Politik die Anzahl der Organspender deutlich erhöhen. Dies soll durch eine Zwangsbefragung aller Bürger, ob sie nach ihrem Tode Organspender sein wollen, erreicht werden. Allein von dem utilitaristischen Gedanken getrieben, mehr Spenderorgane zu erhalten, verliert die Politik auch hier wieder einmal die ethische Dimension der Organspende und die noch vielen offenen Fragen, welche vorab zu klären sind, aus den Augen. Bevor die Bürger gezwungen werden, sich zu ihrer Spendenbereitschaft zu äußern, ist der Staat ihnen umfangreiche Informationen und die Regelung der noch ungeklärten Fragen schuldig. Denn momentan ist die Aufklärung über Zusatzstoffe in Lebensmitteln umfangreicher und gehaltvoller als die staatlichen Broschüren zur Organspende. So besteht bei den nachfolgenden Punkten Informations- und Regelungsbedarf:
1. Vergabe der gespendeten Organe
Bei der Zuteilung von gespendeten Organen geht es meist um eine Entscheidung über Leben und Tod. Denn ein Bedürftiger, welcher nicht berücksichtigt wird, kann schnell zu den über tausend Patienten gehören, welche jährlich sterben, bevor eine Transplantation vorgenommen werden kann. Im Transplantationsgesetz, welches auch die Vergaberichtlinien definiert, sind mit den Anforderungen „Dringlichkeit“ und „Erfolgsaussicht“ zwei häufig widersprüchliche Kriterien formuliert worden. Die Auflösung von Verteilungskonflikten hat der Staat aber an private Organisationen wie die Bundesärztekammer (BÄK), die Deutschen Stiftung Organspende (DSO) und Eurotransplant (ET) delegiert. Das ET eine niederländische Organisation ist, welche nicht dem deutschen Recht untersteht und die DSO vor kurzem durch Mobbingvorwürfe seitens ihrer Mitarbeiter in die Schlagzeilen geraten ist, trägt nicht dazu bei, das Vertrauen in den Organverteilungsprozess zu erhöhen. Bevor nun über eine Zwangsbefragung aller Bürger nachgedacht wird, müssen alle an der Organspende beteiligten Stellen einer klaren rechtsstaatlichen Aufsicht und Kontrolle unterworfen werden. Die Verteilung von gespendeten Organen muss als hoheitliche Aufgabe des deutschen Staates verstanden werden und sie darf daher nicht weiter in den Händen von weitgehend unkontrollierten privaten Organisationen liegen.
2. Definition des Hirntodes
Organe dürfen in Deutschland nur von Toten entnommen werden. Um den Tod eines Menschen zu definieren wird momentan die Diagnose des sogenannten Hirntods (irreversibel ausgefallene integrative Funktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms) herangezogen. Aber zunehmend setzen sich in der Wissenschaft die Zweifel an der Gleichsetzung von Tod und Hirntod durch. So gibt es inzwischen Fälle, bei denen zwischen Hirn- und Herztod über 14 Jahre lagen. Hirntote Menschen verfügen über einen funktionsfähigen Blutkreislauf und ein intaktes Immunsystem mit der entsprechenden Krankheitsabwehr wie z.B. Fieber. Hirntote könnten Kinder zeugen und Schwangerschaften austragen, wobei nur die Atmung künstlich unterstützt werden muss. Hier ist nun der Gesetzgeber gefordert, zunächst die Todesdefinition einem breiten gesellschaftlichen Konsens zu unterwerfen und rechtsstaatlich abzusichern. Die Einführung des Hirntodes als Todeskriterium über die Hintertür der Organspenderegelung ist hingegen in einem demokratischen Staat mehr als fragwürdig. Denn eins ist klar, ist ein Hirntoter vor der Organspende eher als Sterbender zu sehen, so ist er nach der Organspende fraglos ein Toter.
3. Konflikt zwischen Organspende und Patientenverfügung
War der Gesetzgeber 2009 bemüht, seinen Bürgern mit der Neuregelung der Patientenverfügung (PV) vor allem zu ermöglichen, aus Sicht des Einzelnen sinnlose lebensverlängernde Maßnahmen zu verhindern, so läuft der Wunsch nach mehr Organspenden genau in die entgegengesetzte Richtung. Für Organspenden sind tote Körper mit abgestorbenen Organen nutzlos, der Sterbeprozess muss also künstlich aufgehalten werden, damit die Organe transplantierbar bleiben. Eine Verlängerung des Sterbens bis zur Transplantation ist nun das oberste Ziel. Doch wie wird dann der Konflikt zwischen einer PV, welche sterbensverlängernde Maßnahmen ausschließt mit der Bereitschaft, Organspender zu sein, vereinbart? Diesen Konflikt muss der Staat gegenüber seinen Bürgern klar ansprechen und über die Konsequenzen aufklären. Wurde bei der Regelung der PV darauf verzichtet, eine Pflichtberatung vorzusehen, so ist dies spätestens bei einer Zwangsbefragung zur Organspende eine zwingende Notwendigkeit. Denn die Bereitschaft, Organspender zu sein, schränkt die Freiheit über lebensverlängernde Maßnahmen zu entscheiden deutlich ein.
Die drei offenen Themenfelder „Organvergabe“, „Hirntod“ und „Patientenverfügung“ zeigen, dass der jetzige Vorstoß eine Zwangsbefragung einzuführen, unausgegoren und wenig zielführend ist. Ein Staat, welcher auf mündige Bürger setzt, muss durch eine umfassende Informationspolitik und klare rechtliche Regeln zur Organspende überzeugen. Eine Überrumpelungstaktik mit Mitleidseffekt ist vielleicht noch beim Verkauf von Zeitschriftenabonnements erfolgreich, die Organspendebereitschaft wird so auf Dauer nicht erhöht. Kommt es dennoch zu einer Einführung der Zwangsbefragung ohne Klärung der angesprochenen offenen Punkte, so kann die Antwort im Fragebogen nur lauten: „Zu meiner Bereitschaft, Organe zu spenden, werde ich mich hier nicht äußern“.
Ein Kommentar von Stefan Grieser-Schmitz, Koblenz 29.12.2011