Berlin (ALfA). Die Bundesregierung sieht ungeachtet aller Kritik keinen Anlass dafür, die angewandte Hirntoddiagnostik als Voraussetzung für eine Organspende in Zweifel zu ziehen. Die ärztlichen Fachorganisationen hätten erst im August 2012 die "Erklärung Deutscher Wissenschaftlicher Gesellschaften zum Tod durch völligen und endgültigen Hirnausfall" aus dem Jahr 1994 bekräftigt, teilte die Regierung in ihrer jetzt vorliegenden Antwort vom 9. August auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zur Begründung mit. Die Fachgesellschaften hätten festgestellt, "dass der nachgewiesene und unumkehrbare Ausfall der Hirnfunktionen auch bei intensivmedizinisch aufrechterhaltener Herz-Kreislauf-Funktion ein wissenschaftlich belegtes, sicheres Todeszeichen bedeutet". In dem Zusammenhang vorgebrachte Bedenken und Zweifel hielten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, so die Bundesregierung.
Die Linksfraktion hatte in ihrer Anfrage auf eine verbreitete Skepsis in Fachkreisen hinsichtlich der Hirntodkonzeption und der Hirntoddiagnostik verwiesen. So hatten Die Linken in ihrer Vorbemerkung zur Anfrage erklärt, dass sich die Zweifel an der Hirntodkonzeption bei vielen Fachleuten verstärken, "aufgrund der Beobachtungen, dass auch bei hirntoten Menschen Herzschlag wahrnehmbar sei, die Fähigkeiten zu Ausscheidung und Temperaturregulierung erhalten bleiben, Schwangerschaften ausgetragen werden und der Abstand zwischen Hirntod und Eintritt des Herzstillstands Wochen bis mehrere Jahre betragen kann". Auch von renommierten Wissenschaftlern wie dem US-amerikanischen Neurologen Prof. D. Alan Shewmon, der selbst lange Jahre Befürworter der Hirntodkonzeption war, oder dem Potsdamer Ethik-Professor Ralf Stoecker würden inzwischen grosse Zweifel vorgetragen, da es sich zum Zeitpunkt der Hirntodfeststellung ihrer Meinung nach zwar um sterbende Menschen handele, aber nicht schon um Tote (siehe ALfA-Newsletter 28/13 vom 03.08.2013). Das Pendant zum Deutschen Ethikrat in den USA, das "President's Council on Bioethics" vertritt in einem Papier vom Dezember 2008 ebenfalls die Einschaetzung, dass eine Gleichsetzung von Hirntod und Tod nicht mehr aufrechtzuhalten sei.
Die Bundesregierung wischt diese Argumente jedoch mit dem Verweis auf diese eine obige gemeinsame Stellungnahme einfach vom Tisch. Dass "der Abstand zwischen Hirntod und Eintritt des Herzstillstands Wochen bis mehrere Jahre betragen kann", sei "naturwissenschaftlich-medizinisch lange bekannt", heißt es in der Regierungsantwort. Weltweit sei dabei jedoch "keine Erholung der Hirnfunktion eines Menschen nachgewiesen worden, der nach richtliniengemäß festgestelltem und dokumentiertem Ausfall der Gesamtfunktion seines Gehirns, wie lange auch immer, weiterbehandelt wurde". Demzufolge hätten die Publikationen von Prof. D. Alan Shewmon in keinem Land der Welt eine andere Beurteilung des Hirntods als sicheres Todeszeichen als bislang bewirkt. Auch sei weltweit keine Wissenschaftliche Fachgesellschaft der Auffassung von Shewmon gefolgt, dass ein hirntoter Mensch lebe.
Erkenntnisse zur Qualität der Hirntodfeststellungen
"Zu unterscheiden von der unveränderlichen, weil naturgegebenen Bedeutung des Hirntods sind methodische Detailfragen einer eventuellen weiteren Fortschreibung der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, ob und ggf. unter welchen Bedingungen die Irreversibilität der Ausfallsymptome des Gehirns durch noch andere als die bisherigen Verfahren nachgewiesen werden kann", heißt es weiter. Im Hinblick auf die derzeitigen Kontrollmechanismen, auch bezüglich der Vollständigkeit der gesetzlich vorgeschriebenen Hirntodprotokolle, halte die Regierung die im Gesetz festgelegten "Anforderungen an den Nachweis des unwiderruflichen Ablebens des Organspenders für ausreichend".
Zur Frage welche Erkenntnisse die Bundesregierung hinsichtlich der Qualität der Hirntodfeststellungen hat, heißt es in der Antwort lapidar: "Die Hirntod-Feststellung und -Dokumentation ist in Deutschland seit 1982 standardisiert. Die Anforderungen an die Feststellung des Hirntods sind in den Richtlinien zur Feststellung des Hirntods festgelegt. Nach Angaben der Bundesärztekammer liegen weltweit keine Feststellungen über getroffene Fehldiagnosen vor, soweit der Hirntod nach den Richtlinien zur Feststellung des Hirntods bzw. nach den in einzelnen Staaten geltenden Vorschriften festgestellt wurde." Gleichwohl lassen sich im Internet einige Fälle von Fehldiagnosen finden, die hier jedoch den Rahmen sprengen würden. Und es ist fraglich, ob die Richtlinien wirklich immer eingehalten werden.
Auf die Frage, ob der Bundesregierung diesbezügliche Umfragen, Untersuchungen, Überprüfungen, Studien oder ähnliches bekannt sind, die Aufschluss über die Qualität der Hirntodfeststellungen und der Fehlerhäufigkeit geben könnten, und wenn ja, welche und zur Frage, welche Erkenntnisse sie bezüglich einer Überprüfung zurückliegender Hirntoddiagnostiken in ganz Deutschland auf Sorgfältigkeit und Zweifelsfreiheit hat, folgt die einzeilige Antwort: "Der Bundesregierung sind keine strukturierten Untersuchungen zu diesem Thema bekannt." Sie sieht auch "keinen Anlass, entsprechende Untersuchungen in Auftrag zu geben".
Erkenntnisse zur Verunsicherung und Skepsis bezüglich Hirntodkonzeption
Bemerkenswert ist die Antwort der Bundesregierung zur Frage, welche Erkenntnis diese hinsichtlich einer Verunsicherung und Skepsis bezüglich Hirntodkonzeption und -feststellung auch bei den mit der Organentnahme befassten Fachkräften hat. Dazu verweist das Bundesministerium für Gesundheit auf eine Studie "Einstellung, Wissen und Verhalten von Pflegekräften zur Organspende" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2010. Dazu wurden Pflegekräfte aus Krankenhäusern mit Transplantationsabteilungen mit Pflegekräften aus Krankenhäusern ohne Transplantationsabteilungen verglichen. "Die Ergebnisse der Studie lassen nicht erkennen, dass bei den mit der Organentnahme befassten Fachkräften eine große Unsicherheit und Skepsis hinsichtlich des Hirntodkonzepts und der Hirntodfeststellung besteht", so die Regierung. Sie stützt sich dabei darauf, dass 99,2 Prozent der Befragten den Hirntod korrekt definieren können. Bei genauerer Betrachtung der Befragungsergebnisse in der Originalstudie ist jedoch durchaus ersichtlich, dass es Skepsis unter den Pflegekräften gibt. Denn nur für 73 Prozent aller befragten Pflegekräfte ist der Hirntod gleichbedeutend mit dem Tod des Menschen.
Der BZgA lägen darüber hinaus Erkenntnisse zur Bewertung des Hirntods in der Allgemeinbevölkerung durch Ergebnisse aus einer Repräsentativbefragung aus dem Jahr 2012 vor. Dass der Hirntod das medizinische Kriterium für eine mögliche Organspende ist, sei mehr als drei Viertel aller Befragten, d.h. 78 Prozent, bekannt. Der Mehrheit der Bevölkerung, d.h. 87 Prozent sei bekannt, dass der Hirntod "ein sicheres Todeszeichen" darstellt. Allerdings wurde hier nicht weiter nachgefragt, ob der Hirntod gleichbedeutend mit dem Tod ist, sondern erst im Zusammenhang mit einer anderen Frage, bei den Befragten, die ihre Ablehnung einer Organspende bekundet haben.
Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass das Thema Hirntod in an das Bundesministerium für Gesundheit und an die BZgA gerichteten Bürgeranfragen "eine untergeordnete Rolle" spiele. In dem Jahresbericht der DSO "Organspende und Transplantation in Deutschland 2012" werde ausgeführt, dass Zweifel an der Hirntoddiagnostik "selten in den Angehörigengesprächen als Ablehnungsgrund für die Organspende angeführt" werden.
Herztod kein Kriterium für Organentnahme
Zur Frage nach möglichen Alternativen zur Hirntodkonzeption als Kriterium für eine Organentnahme sieht die Bundesregierung nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand "keine Alternative". Mit der Feststellung des Hirntods sei "der Tod des Menschen durch Nachweis eines der sicheren Todeszeichen zweifelsfrei festgestellt". Der bloße Herz- und Kreislaufstillstand sei "kein sicheres Todeszeichen". Hingegen folge ohne intensivmedizinische Behandlung auf den Hirntod unausweichlich der Herzstillstand. "Die Organentnahme nach Todesfeststellung allein durch Herzstillstand (non heart beating donor - NHBD) wurde demzufolge von der verfassten Ärzteschaft abgelehnt", betonte die Regierung.
Diese klarstellende Aussage ist insofern beruhigend, da auch in Deutschland zur Behebung des Organmangels vereinzelt Rufe nach Einführung der Organentnahme nach Todesfeststellung allein durch Herzstillstand lauter werden. In einzelnen europäischen Ländern wird dies bereits praktiziert. Doch bislang fielen derartige Forderungen hierzulande noch nicht auf fruchtbaren Boden. Bleibt zu hoffen, dass das noch länger so bleibt.
25.08.2013, Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA)