Überblick
Anfang Juli debattierte der Bundestag mehrere Gesetzesentwürfe, welche die Beihilfe zur Selbsttötung einschränken wollen. Auf Betreiben der MdB Katja Keul wurden alle vorgestellten Entwürfe vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft. Nun kam das Ergebnis - der Wissenschaftliche Dienst hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen drei der vier Gesetzentwürfe:
Bewertung des Antrages der Gruppe um MdB Brand und MdB Griese
Dieser Antrag, welcher in der ersten Lesung von 200 der 631 Abgeordneten unterstützt wurde, möchte die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verbieten. Wichtig ist dabei das Wort "geschäftsmäßig". Es bedeutet, dass Sterbehilfe verboten ist, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist, unabhängig davon, ob man sie kommerziell durchführt oder unentgeltlich. Straffrei sollen diejenigen bleiben, die nur "im Einzelfall und aus altruistischen Motiven" bei einer Selbsttötung helfen. Doch diese Unterscheidung zwischen Einzelfall und Wiederholungsabsicht verstößt nach Ansicht des Wissenschaftlichen Dienstes gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, da es nicht hinreichend vorhersehbar sei, unter welchen Voraussetzungen sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Sterbehilfe leisten, strafbar machen. Nach Auffassung des Wissenschaftlichen Dienstes wäre für in der Intensiv- und Palliativmedizin tätige Ärzte aber schnell die Schwelle erreicht, bei der die Sterbehilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit würde und damit als geschäftsmäßig anzusehen wäre. Somit wäre es unmöglich, bei diesen Ärzten zwischen dem erlaubten Einzelfall und der strafbaren Wiederholungsabsicht zu unterscheiden.
Bewertung des Antrages der Gruppe um MdB Hintze und MdB Lauterbach
Dieser Antrag möchte die ärztliche Suizidassistenz durch eine entsprechende Regelung im BGB aufwerten und den Landesärztekammern die bestehende Möglichkeit nehmen, die Mitwirkung an Selbsttötungen in der ärztlichen Berufsordnung zu verbieten. Dieser Gesetzentwurf stelle konkrete Verhaltensanforderungen an die Ärzte, bemängelt der Wissenschaftliche Dienst. Mit der Festlegung solcher Bedingungen für Ärzte wird ins ärztliche Standesrecht und somit ins Länderrecht eingegriffen. "Eine in Landesrecht eingreifende Bundeskompetenz" komme hier aber "nicht in Betracht". In der Tat darf der Bund nur die Voraussetzungen für die Zulassung von Ärzten regeln, das ärztliche Berufsrecht dagegen ist Ländersache.
Bewertung des Antrages der Gruppe um MdB Künast und MdB Sitte
Dieser Antrag möchte nur die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe untersagt. Parallel wertet er die Beihilfe zu Selbsttötung ohne explizite Gewinnabsicht durch eine entsprechende Regelung für die Arbeit von Sterbehilfevereinen auf. Wie auch der Entwurf Hintze/Lauterbach möchte er den Landesärztekammern die heutige Möglichkeit nehmen, die Mitwirkung an Selbsttötungen in der ärztlichen Berufsordnung zu verbieten. Bei diesem Entwurf sieht der Wissenschaftliche Dienst sogar zwei kritische Punkte. So äußert er Zweifel mit Blick auf die Bestimmtheit des Begriffs der „Gewerbsmäßigkeit“. Denn nach der Gesetzesbegründung sollen sich Personen strafbar machen, die sich für die Sterbehilfe „entlohnen lassen und nicht nur kostendeckend arbeiten“. Ob ein Arzt, der eine Beratungsgebühr nach der Gebührenordnung berechnet, darunter fällt, sagt der Entwurf nicht. Auch den Eingriff in die Berufsordnung der Ärzte sieht der Dienst als einen unzulässigen Eingriff des Bundes in die Kompetenz der Bundesländer an.
Bewertung des Antrages der Gruppe um MdB Sensburg und MdB Doerflinger
Dieser Antrag möchte jeglicher Suizidbeihilfe verbieten. Dieser Antrag wurde nicht explizit vom Wissenschaftlichen Dienst bewertet. Wenn man aber die Einwände gegen die übrigen drei Entwürfe heranzieht, dann sollten hier keine rechtlichen Bedenken bestehen. So handelt es sich bei Strafgesetzgebung unstrittig um eine Bundeskompetenz und durch das uneingeschränktes Verbot der Suizidbeihilfe ist auch die rechtliche Bestimmtheit gegeben.
Hintergrundinformationen
Bewertung der Gesetzentwürfe Hintze/Lauterbach und Künast/Sitte durch den Wissenschaftlichen Dienst.
Bewertung des Gesetzentwurfs Brand/Griese durch den Wissenschaftlichen Dienst.
Letzte Änderung: 24.09.2015