Sabine Bätzing-Lichtenthäler vertrat vom 2002 bis 2014 als Abgeordnete der SPD den Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen im Bundestag. Von 2005 bis 2009 war sie auch die Drogenbeauftrage der Bundesregierung. Seit November 2014 ist sie Sozialministerin in der Landesregierung Rheinland-Pfalz. Zu Fragen des Lebensschutzes hat sie gegenüber "Lebensschutz in Rheinland-Pfalz" bereits mehrfach eine klare Position bezogen. Bei der momentanen Diskussion um die Beihilfe zur Selbsttötung tritt sie für ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe ein.
Warum diskutieren die Bundestagsabgeordneten derzeit über ein Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Die Diskussion über die Strafbarkeit von Beihilfe zum Suizid hat nicht erst jetzt begonnen. Bereits CDU/CSU und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, gewerbliche Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen. Die damaligen Regierungskoalitionäre konnten sich dann aber nicht einigen. CDU/CSU und SPD haben vereinbart, dass sie die Frage in dieser Legislatur in den Bundestag einbringen werden.
Wie ist Ihre Position zu einem Verbot der organisierten Suizidbeihilfe?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Ich wünsche mir ein solches Verbot.
Warum gerade ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe, es wäre ja auch denkbar, nur die kommerzielle Beihilfe oder umfassend jede Form der Suizidbeihilfe zu verbieten?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Stimmt, aber das Verbot der nur reinen kommerziellen Suizidbeihilfe geht mir nicht weit genug, die Strafbarkeit jeglicher Beihilfe geht mir hingegen zu weit. Warum? Ich bin nicht in der Situation einer Person, die Sterbenskrank ist oder unter ständigen, nicht erträglichen Schmerzen leidet, aber aus meinem Glauben ist die Entscheidung über mein Leben keine, die mir in die Hand gelegt wurde. Wenn jemand so verzweifelt ist, dass er nicht mehr weiterleben will, hat diese Person zunächst mein Verständnis und ich würde auch nicht über eine Strafbarkeit für diese Person reden wollen. Aufgabe der Gesellschaft ist es aber doch, diesen Menschen zu helfen, nicht sie zu töten. Zunächst Hilfe zum weiterleben Wollen, palliative Behandlung und Hospize sind der richtige Weg, nicht Organisationen, die das beim Sterben helfen zu ihrem Daseinszweck erkoren haben. Ich habe kein Vertrauen darin, dass eine Sterbehilfeorganisation wirklich erst alle Hilfemöglichkeiten ausschöpft, um jemandem zu helfen, weiterleben zu wollen. Auf der anderen Seite gibt es Fälle, in denen ich eine Bestrafung unangemessen finde. Wenn die Mutter trotz starker Schmerzmittel die Tochter anfleht, ihr Schlaftabletten zu besorgen, wenn der lebenslang behandelnde Hausarzt sieht, dass der Patient nur noch leidet und diese Personen unter starkem persönlichem Druck dann bei einem Suizid helfen, dann erkenne ich keinen Bedarf für eine Strafbarkeit. Man muss allerdings überlegen, ob man das über eine Ausnahmevorschrift regelt.
Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung lehnt nach Ergebnissen von Umfragen ein Verbot der Suizidbeihilfe ab. Wie stehen Sie dazu?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Meine Aufgabe als Politikerin ist es, meine Position klar darzulegen und zu erklären, warum ich so denke. Insofern helfen Sie mir gerade bei meiner Aufgabe. Danach ist es Aufgabe der Wähler zu entscheiden, ob sie meine Position gut finden oder die eines anderen Bewerbers. Nur so kann Demokratie funktionieren. Ich werde jedenfalls jedem, der sich an mich wendet meine Auffassung offen darlegen.
Wie wollen Sie den Menschen die Angst vor einem schmerzvollen Tod und der Abhängigkeit von anderen in der letzten Lebensphase nehmen?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Das kann ich leider nicht. Für mich ist der christliche Glaube der Trost, auf den ich mich verlassen kann und ich wünsche mir, dass viele Menschen ihn als Schutz und Schild haben. Staatlich kann nur Beratung, Begleitung und medizinischer Schutz vor Schmerzen gefördert werden.
Suizid ist vor allem ein Problem bei älteren Mitmenschen. Was würde das geplante Verbot hier verbessern?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Würde das Verbot zu einer allgemeinen Verbesserung der Situation führen? Nein, das glaube ich nicht. Ich hoffe aber, dass es Menschen geben wird, die wegen der Verweigerung einer solchen Beihilfe ins Leben zurück finden und dieses wenigstens zeitweilig genießen können. Das wäre ein Erfolg für das Gesetz.
Wie sehen Sie das Argument einiger Sterbehilfebefürworter, dass eine Gesellschaft, welche über 100.000 Abtreibungen akzeptiert, kein Recht habe, ihren Mitgliedern die Erfüllung des eigenen Todeswunsches zu verwehren?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Ich vermag Abtreibungen, die ich keinesfalls toll finde und Sterbehilfe nicht miteinander zu vergleichen. Auf der einen Seite geht es bei der Sterbehilfe ja sogar um jemanden, der die Entscheidung für sich selber trifft, was beim Embryo eben nicht der Fall ist, auf der anderen Seite geht es bei der Abtreibung aber um zwei Personen, den Embryo aber auch um das Leben der Mutter. Bei der Abtreibung findet also eine Abwägung zwischen verschiedenen Interessen statt.
Sollte ein Verbot durch flankierende Maßnahmen, wie z.B. einem weiteren Ausbau von Palliativmedizin und Hospizen in Deutschland, begleitet werden?
S. Bätzing-Lichtenthäler: Das halte ich für unabdingbar. Wo es möglich ist, wieder ins Leben zu finden, sollte dem Vorrang gegeben werden, wo der Tod und Schmerzen harte Realität sind, sollte Schmerzbehandlung und das Nicht-allein-Lassen im Vordergrund stehen.
Frau Bätzing Lichtenthäler, vielen Dank für das Gespräch!
S. Bätzing-Lichtenthäler: Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, meine Auffassung darzulegen.
Das Interview wurde von Stefan Grieser-Schmitz geführt, 07.03.2014.